Donnerstag, 20. November 2014

La lucha sigue!

Lange habe ich mich nicht mehr gemeldet, ich weiß. Schande über mich! Aber irgendwann stellt sich auch bei einem Auslandsjahr so etwas wie Alltag ein und das Mitteilungsbedürfnis über jedes neue Erlebnis lässt nach. Ich muss auch sagen, dass mich die Arbeit bei Sipaz - so unglaublich spannend und lehrreich sie auch ist, oder vielleicht gerade deshalb - sehr einnimmt und schlaucht. Gerade von dem, was ich dort so mache, wollte ich hier schon länger erzählen. Doch heute muss ich euch erstmal von den aktuellen Ereignissen hier in Mexiko berichten, von denen ihr ja auch in Deutschland einiges mitbekommt.

Ich war mit Sipaz schon bei vielen Protestmärschen dabei. Immer mit T-Shirt oder schicker Leuchtweste ausgestattet, die mich als "internationale Beobachterin" kennzeichnen, und immer am Rande der Demo statt mittendrin. Wir Ausländer dürfen schließlich laut Gesetz hier in Mexiko nicht an politischen Aktionen teilnehmen und gerade angesichts der aktuellen Geschehnisse möchte ich keine Probleme mit der Polizei bekommen. Auch so habe ich die Proteste als sehr ergreifend und wortgewaltig, wütend aber immer friedlich erlebt. Es war schön zu sehen, wie sich so viele Menschen mit den Studenten und ihren Angehörigen solidarisieren und von der Regierung Gerechtigkeit fordern. Gerade als die Karawane mit den Eltern und Kommilitonen der verschwundenen 43 hier in San Cristóbal vorbeikam, war die Solidarisierung so groß, dass sie auf eine nationale Bewegung hoffen ließ, die wirklich etwas bewegt. Schon beim letzten Protestmarsch gab es Warnungen vor gewalttätigen Krawallen, wir haben diese jedoch als Gerüchte gewertet, um Angst vor den Demonstrationen zu sähen, und recht behalten. Alles blieb friedlich.

Heute jedoch, am Tag der Mexikanischen Revolution, hat sich das Blatt gewendet. Natürlich gab es wieder einen Protestmarsch, den wir begleitet haben. Er begann jedoch schon ganz anders als die vorherigen. Schon auf den ersten Metern etwas weiter außerhalb der Innenstadt passieren wir auf einmal ein brennendes Oxxo-Geschäft mit eingeschlagenen Scheiben. Die Oxxos sind eine monopolartige Kiosk-Kette und sprießen in jeder Stadt Mexikos wie Pilze aus dem Boden. Kurz danach kommt Rauch aus einem anderen großen Supermarkt. Es wird jedoch schnell klar, dass die Täter nicht zur "normalen" Gruppe der Demonstranten gehören. Diese versucht sich von den vermummten und teilweise sogar als Zapatisten verkleideten Unruhestiftern abzugrenzen. "No violencia", schallt es. Es gibt sogar Auseinandersetzungen mit den Brandstiftern und kurzzeitig droht Panik auszubrechen. Die Menge fängt sich jedoch, formiert sich neu und setzt den Protestmarsch fort. Bei mir bleibt ein ungutes Gefühl zurück. Ich frage mich, wer diese Personen sind, die den Krawall anzetteln? Meine Mitbewohnerin erzählt mir später, dass einige der Demonstranten unter den vermummten Gestalten Anhänger der Regierungspartei entdeckt haben wollen. Im Zentrum angekommen, versammeln sich die Leute zunächst auf dem Hauptplatz zu einer Manifestation. Kurz darauf scheppern jedoch schon wieder die Scheiben von Oxxos (von denen es natürlich auch unfassbar viele gibt im Zentrum) und Cola, Bier und Chips werden geplündert, was das Zeug hält. Auffällig: weit und breit keine Polizei in Sicht, obwohl man davon ausgehen kann, dass sie zumindest in zivil die Demonstrationen nicht unbewacht lässt. Eine weitere Tatsache, die auf einen Komplott hindeutet. Solche Ausschreitungen liefern dem Staat schließlich die Legitimation, härter durchzugreifen und die Protestbewegung zu kriminalisieren. Klar, vor drei Monaten hätte ich noch gedacht: "Das klingt doch total paranoid", wenn mir jemand so etwas erzählt hätte. Heute klingt es für mich plausibel.

Ich hoffe sehr, dass die Proteste zu ihren friedlichen Ursprüngen zurückkehren, sonst haben ihre Gegner sehr bald gewonnen. Die Plünderungen von Oxxos bringen den Opfern aus Ayotzinapa keine Gerechtigkeit und eine Zukunftsperspektive für dieses von Gewalt und Straffreiheit geplagte Land bieten sie ebenso wenig. Als Kontrast dazu möchte ich noch vom letzten Protestmarsch erzählen, der mit der erwähnten Karawane der Eltern und Studenten stattfand. Als wir durch eine Straße in der Innenstadt zogen, kamen viele Menschen aus ihren Häusern um zuzuschauen, manchmal mit freundlichen, manchmal mit ängstlichen Blicken - vermutlich wegen der Warnungen - und manchmal einfach nur aus Schaulust. Doch eine ältere Frau stellte sich in den Eingang ihres Hauses und fing an, in die Hände zu klatschen. Laut und ehrlich und mit solch einem Enthusiasmus, dass sich viele in der Menge davon gerührt zeigten. Das ist ein Bild, das mir Hoffnung macht. Solcher Gesten bedarf es hier, anstatt weiterer Gewalt.

Da es jetzt rührseliger wohl nicht mehr geht, verabschiede ich mich besser und melde mich das nächste mal tatsächlich mit einem Bericht über meinen Arbeits-"alltag" zurück.

Bis dahin: Peace out!